Diese landgräfliche Einrichtung verhalf dem gesamten Ort zu einem bescheidenen Wohlstand.
(d. Hrsg.).
Die kühnen Hoffnungen, die an die Expansion des Leinengewerbes
für die Kleinbauerndörfer
geknüpft wurden,
schienen in Vernawahlshausen in Erfüllung zu gehen.
Geradezu enthusiastisch sprechen zeitgenössische Berichte vom -
industriellen Aufschwung -
des Ortes und seiner Bleiche, deren Bedeutung weit über die
unmittelbaren Nachbardörfer hinausreichte.
- Bey dem Sababurger Amtsdorf Vemawahlshausen (...)
ist die ansehnlichste Bleichanstalt
in diesem Distrikt.
Fast ein jeder Einwohner in diesem Orte ist ein Bleicher,
und kann sicher darauf rechnen,
daß daselbst in jedem Jahre viele tausend Schock Linnen sowohl für ein -
als auswärtige Linnenhandlungen
und für Privathaushaltungen weiß gemacht werden.
Dieser Bleiche dient es zu einer besonderen Empfehlung, daß die
industriellen Bleicher
und Bleicherinnen außer denjenigen Vorteilen, welche ihnen die Natur bietet,
blos unermüdetem
Fleiß und Sorgfalt und keine dem Linnen schädliche Kunstgriffe gebrauchen.
Ein jeder Einwohner, der eine solche Wiese, worauf er Linnen auflegen und bleichen
kann,
besizet, gewinnet über seinen verdienten Lohn eine vortreffliche Heuernte.
Diejenigen, welche entweder gar keine oder nicht hinreichende und zum bleiche
schickliche Wiesen haben,
miethen solche für die Bleichzeit um einen hohen Preis von anderen.
Von einer Steige oder
zwanzig Ellen fünf Viertel Tuch, wird hier 2 Albus 8 Heller und
von vier Viertel breit
1 Albus 9 1/3 Heller bezahlet.
- (Martin, Bd.1,S.63)
Tatsächlich gehörte die Vernawahlshäuser Rasenbleiche zu den
größten in ganz Hessen,
und die Menge des hier gebleichten Leinen war beachtlich.
Das Lager-, Stück- und Steuerbuch schätzte 300 - 500 Steigen
pro Bleicher, was ca.
3,4 km bis 5,7 km Leinentuch entsprochen hätte. Geht man davon aus,
dass fast jede
Familie dieser Fertigkeit nachging, wird man bei 94 gezählten Wohnungen ruhig 70
Bleicherfamilien rechnen dürfen.
Zwischen 21.000 und 35.000 Steigen gebleichten Leinens hätten demnach am Ende des
18. Jahrhunderts Vernawahlshausen verlassen, um zunächst nach Lippoldsberg und
weiter nach Karlshafen gebracht zu Werden.
(StArch.Marburg, LSSB Vernawahlsh., 1786, Vorbeschr. § 46)
Nach Preisangaben Martins für gebleichtes Leinen konnte
eine Vernawahlshäuser
Familie mit einem zusätzlichen Einkommen von 16 - 27 Talern jährlich rechnen.
Hiervon mussten allerdings die Unkosten für Holz und Asche und eventuell die
Wiesenmiete bestritten werden.
Dennoch führte die - ansehnlichste Bleichanstalt in diesem Distrikt -
nach Meinung des
Zeitgenossen Martin - zu einem ziemlichen Wohlstand der fleißigen Bewohner
-
(Martin, a.a.O.) dieses Ortes.
Auch der Sababurger Rentmeister bestätigte Mitte des 19. Jahrhunderts,
bereits angesichts
des Niedergangs der Vernawahlshäuser Rasenbleiche, dass
die Vernawahlshäuser stets zu den
promptesten Steuern- und Abgabenzahlern des Amtes gehört hätten und
niemals etwas schuldig
geblieben wären.
Und so gewinnt man den Eindruck, dass mehr noch als in Lippoldsberg
die Blütezeit des
Leinengewerbes zugleich zu einer Blütezeit dieses kleinen
niederhessischen Dorfes geworden war.
Drei Voraussetzungen ermöglichten diese Blüte Vernawahlshausen:
ausreichend große Rasenflächen, ein genügender Vorrat an
Pottasche und vor allem das klare
und weiche Wasser, das aus vielen Quellen innerhalb der
Vernawahlshäuser Feldmark sprudelte.
Ihm verdanken die Vernawahlshäuser auch die Güte und Weiße
des Leinens, mit der sie
die meisten anderen Bleichen übertrafen.
(St.Arch. Marburg, a.a.O.)
Nördlich des Ortes, entlang der Schwülme durchzogen
zahlreiche kleine, von den Quellbächen
abgeleitete Gräben die Bleichwiesen, so dass die
darauf ausgespannten Leinentücher
bequem begossen werden konnten.
Vor allem auch die selbstverständliche Mitarbeit der Frauen und Kinder machte die
Bleicherei zu einem einträglichen Gewerbe,
dessen Arbeitsorganisation sich zudem recht
gut dem Rhythmus des landwirtschaftlichen Arbeitsjahres anpasste.
So sehr die Lohnbleicherei bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts hinein den
Vernawahlshäusern in einer
Zeit verstärkten Bevölkerungsdrucks einen bescheidenen
Wohlstand ermöglichte, um so deutlicher wurde für
sie ab Mitte des letzten Jahrhunderts
der rasche Niedergang des hessischen Leinengewerbes spürbar.
Und dies wirkte besonders drastisch, als mit Hilfe des
naturwissenschaftlichen Fortschritts
immer stärker Pottasche und Sonnenkraft durch Chemie ersetzt wurden.
Während der Umfang des gebleichten Leinens in den Jahren 1839 bis 1842 noch von
25.000 auf 39.000 Steigen anstieg, verließen 1856 nur 36.000 Steigen
Leinen das Dorf.
(Metz, S.105)
Leider sind weiter keine genauen Daten zu den sinkenden Absatszahlen
der folgenden Jahre bekannt,
doch dokumentieren Briefe und Bittgesuche der Gemeindevertretung
1861 anlässlich der
Neuverpachtung des hiesigen herrschaftlichen Meierlandes,
wie einschneidend der Niedergang dieses
Erwerbzweiges auf das ganze Dorf gewirkt haben muss.
Natürlich mischte sich unter die eindrucksvollen Klagen der
Gemeinde über ihre damalige
Situation das Interesse, die geplante Erhöhung der Pachtpreise
seitens der Regierung abzuwenden.
Dennoch zeichnet sich in diesen Bittgesuchen das Bild einer in Not
geratenen Gemeinde ab.
So berichtet am 16. Mai 1861 der Rentmeister über ein Treffen
mit den Gemeindevertretern,
diese hätten vorgebracht, dass - kaum der 7. Teil von dem Leinen
zum Bleichen kommen,
das früher zu Vernawahlshausen gebleicht worden sei.
So wären in frühen Jahren stets 40.000 Steigen gebleicht worden,
während in diesen
drei Jahren kaum 6.000 gebleicht wurden und stünde zu erwarten, dass jedes Jahr
weniger Leinen zur Bleiche gebracht würde.
- (St.Arch.Marburg, Best.168, Nr. 1267).
Von 40.000 auf 6.000:
Wirklich ein drastischer wirtschaftlicher Einbruch. (...)
Die Verkümmerung der Vernawahlshäuser Bleichen
spiegelt sich auch in verschiedenen
Einwohnerverzeichnissen des Ortes wider.
So lebten um 1858 10 Leineweber, 10 Bleicher und 7 Personen, die sowohl der
Leineweberei als auch der Bleicherei nachgingen, im Ort; 1863 wiederum 10 Leineweber,
jedoch nur 4 Bleicher. Und die Steuerrollen der 70er und 80er Jahre verzeichneten
schließlich nur noch 1 oder 2 Bleicher.
(Pfarrarch. Vernawahlsh., Catalogus Commu¬nicanti um, 1858; Gemeindearch. Wahlsburg,
Wählerliste von 1863; St.Archiv Marburg, Best.180, Hofgeismar Nr. 232)
(aus: Quest u. Schäfer-Richter, S 146 - 149)
Quelle: Flachs und Leinen zwischen Weser und Solling von Thorsten Quest und Uta Schäfer - Richter